Larger Than Life – Wie man seinen Soundaufnahmen mehr Größe verleiht

In diesem Blog möchte ich zuerst auf die Standardmöglichkeiten eingehen, mit deren Hilfe man Sounds mehr Größe und Aufmerksamkeit verleihen kann. Größe im Sinne von „das gewisse Etwas“, ein wenig mehr Druck, mehr Präsenz, mehr Knackigkeit und Strahlkraft. Wichtig ist dabei, dass sich die jeweiligen Sounds gut in die Situation einfügen. In einer Filmszene zum Beispiel, in der der Vater das Licht im Kinderzimmer ausschaltet wird für das Klacken des Lichtschalters nicht der fetteste, brillanteste Lichtschaltersound passend sein.
Des weiteren stelle ich einige psychoakustische Prinzipien vor, mit deren Hilfe das menschliche Gehirn „gehackt“ werden kann und Sounds größer erscheinen als sie in Wirklichkeit sind.
Bevor man sich der klanglichen Bearbeitung widmet sollten sämtliche Säuberungs- und Reparaturmaßnahmen abgeschlossen sein. Ansonsten kann sich das negativ auswirken (z.B. Rauschen).

EQing

Das menschliche Ohr weißt Grenzen auf, wenn es um das Unterscheiden von Sounds geht, die ähnliche Frequenzen belegen. Wenn zwei oder mehrere Sounds genau die gleichen Frequenzen einnehmen, tritt das sogenannte Masking auf. Im darauf folgenden Kampf wird im Allgemeinen das lautere der Beiden das leisere Signal teilweise oder vollständig verdecken, dieses verschwindet somit aus der Mischung. Ein EQ kann hier Abhilfe schaffen und ist vermutlich das wichtigste und offensichtlichste Werkzeug, um dem Sound mehr Größe zu verleihen. Durch das Anheben der tiefen Frequenzen, kann dem Sound z.B. mehr Körper gegeben werden. Das Verstärken der Höhen kann zu mehr Brillanz führen. Des weiteren kann der besondere Klang des Sounds durch das Anheben bestimmter Frequenzen zusätzlich betont werden. Aber auch durch das Absenken von nervigen Frequenzen kann der Klang weiter fokussiert werden.

Dynamikbearbeitung

Kompression ist ein ungemein wichtiges Tool zum Vergrößern von Sounds. Das aufgenommene Signal muss jedoch davor genau unter die Lupe genommen werden. Wurde wie vorher erwähnt ein Lichtschalter aufgenommen, weißt das Audiosignal zu Beginn vielleicht einen extrem ausgeprägten Transienten auf, der ohne Bedenken mit einem Kompressor, Limiter oder einem Sättigungstool abgeschliffen werden kann, ohne dass sich das klanglich negativ auswirkt. Durch das gleichzeitige Anheben des Outputs, können die restlichen Anteile des Signals nach vorne gebracht werden und der Sound erscheint Größer. Im Fall einer Lichtschalteraufnahme ist das aber auch der Raumklang. Hier muss darauf gedachtet werden, ob der natürliche Raumklang der Aufnahme zur Szenerie passt oder bearbeitet werden muss.

Formung des Signals

Ähnliche Möglichkeiten, wie der Kompressor bietet ein Transient-Designer. Vor allem seine Fähigkeit, die Sustain-Phase eines Signals zu verstärken, macht ihn bei der Vergrößerung von Sounds zu einem ungemein wertvollen Tool. Werden perkussive Sounds zu nahe mikrofoniert aufgenommen, wirken diese oftmals weitaus weniger mächtig, da ihnen die nötige Rauminformation fehlt. Bevor hier ein Reverb zum Einsatz kommt, kann zunächst ein Transient-Designer Abhilfe schaffen. Der Attack kann eventuell ein wenig abgeschwächt und die Sustain-Phase deutlich verstärkt werden.
Auch durch die dezente Verlängerung des Signals durch Timestretching, lässt sich ein wenig Größe erzeugen. Hierbei gilt es allerdings sehr behutsam vorzugehen. Timestretching erzeugt Artefakte und verschmiert das Signal.

Dopplung/Parallelbearbeitung

Bei der Dopplung geht es in dem Fall darum, das Signal auf eine zweite Spur zu kopieren, dort stark zu bearbeiten und dieses Ergebnis dann dem Original hinzuzumischen. Bei der Parallelkompression zum Beispiel, wird die hinzugefügte Spur extrem komprimiert und dem Originalsignal hinzugemischt.
Durch Pitching inklusive Zeitkorrektur durch Timestretching lassen sich ebenfalls gute Ergebnisse erzielen. Das kopierte Signal wird eine Oktave nach unten gepitcht und verleiht, leicht hinzugemischt, dem Original mehr Körper.

Exciter & Enhancer

Durch Exciter bzw. Enhancer können dem Sound im Bass- oder Höhenbereich Frequenzbereiche hinzugefügt werden, wenn diese fehlen oder extrem unterrepräsentiert sind. Durch verschiedene Methoden werden die fehlenden Frequenzen generiert.

Reverb

Mit Hilfe eines Reverbs lässt sich wunderbar Größe generieren. Bei zu nah aufgenommenen Sounds, denen die Räumlichkeit fehlt, bringt der Reverb diesen Raum wieder zurück. Hierbei lassen sich auch leicht abgedrehte und surreale Sounds kreieren.

Mit dem Wissen wie Geräusche vom menschlichen Hörsystem interpretiert werden, lässt sich dieses System auf kreative Weise austricksen…

Der Haas-Effekt

Benannt nach Helmut Haas, der den Effekt zum ersten Mal 1949 beschrieben hat, kann dieses Prinzip dazu verwendet werden die Illusion einer räumlichen Stereobreite, mit dem Ausgangspunkt einer Monoquelle, zu erzeugen. Haas fand heraus, dass solange die „Early Reflections“ weniger als 35ms nach dem Originalton wahrgenommen werden, und diese den Pegelunterschied von 10 dB nicht übersteigen, nicht als zwei diskrete Töne, sondern als ein Ton interpretiert werden.
Um eine Mono-Klangquelle zu verdichten und/oder auszubreiten wird die vorhandene Audiospur dupliziert und eine Spur nach links und eine Spur nach rechts gepannt. Die Kopie wird dann um etwa 10-35ms (jede Anwendung wird einen eigenen Bereich verlangen) verzögert, entweder auf der DAW-Timeline verschoben oder mit einem Delay Plug-In eingestellt. Das bringt das Gehirn dazu mehr Breite und Raum wahrzunehmen.
Übertrieben und auf mehreren Spuren angewandt kann dies jedoch dazu führen, dass die Stereostreuung vollständig unfokussiert wahrgenommen wird.

Der akustische Reflex des Ohrs

Die Mittelohrmuskeln des Menschen ziehen sich unwillkürlich zusammen, wenn sie mit einem hochintensiven Stimulus konfrontiert werden, wodurch die Menge an Schwingungsenergie, die auf die empfindliche Cochlea übertragen wird, abnimmt. So werden empfindlichere Teile im Ohr geschützt (= Stapediusreflex).
Das Gehirn interpretiert die dynamische Signatur solcher Geräusche mit reduzierter Lautheit. Wird aber eine anfänglich laute Transiente von einer sofortigen Reduktion gefolgt, ziehen sich die Ohrmuskeln als Reaktion darauf ebenso zusammen und das Geräusch wird vom Gehirn noch immer als sehr laut wahrgenommen.
Dieses Prinzip wird oft im Film Sound Design verwendet und ist besonders nützlich, um die physiologischen Auswirkungen von massiven Explosionen und hochintensiven Schüssen zu simulieren, ohne tatsächlich ein Kino voller Hörgeschädigter zu hinterlassen.
Kompressoren machen sich diesen Effekt ebenso zu Nutze.
Die PRE-SAFE® Sound Technik von Mercedes Benz nutzt den Stapediusreflex aus, indem bei erkannter Kollisionsgefahr über die Soundanlage im Fahrzeug ein kurzes Rauschsignal (rosa Rauschen) ertönt, wodurch der Reflex aktiviert wird. Da das Geräusch des Unfallgeschehens selbst deutlich lauter sein kann, wird somit das Innenohr geschützt.

Den Eindruck von Leistung und Lautstärke auch bei niedrigen Hörpegeln erzeugen

Die Hörschwelle des Menschen verläuft nicht linear. Genauer gesagt, menschliche Ohren sind im Mittenfrequenzbereich empfindlicher als bei Frequenzen am tiefen und hohen Ende des Spektrums. Bei etwa 4 kHz liegt der Punkt der höchsten Wahrnehmungsempfindlichkeit. Dieses Phänomen wurde das erste Mal 1933 von den beiden Forschern Harvey Fletcher und Wilden A. Munson beschrieben. „Fletcher-Munson“ ist seitdem zu einem wichtigen Begriff geworden.
Im Allgemeinen bemerken wir dieses Phänomen aber nicht, da wir immer schon so gehört haben. Das menschliche Gehirn berücksichtigt die Wahrnehmungsempfindlichkeit im mittleren Frequenzbereich.
Für die Praxis bedeutet dies, dass sich bei Mixingsessions die besten Abstimmungen bei geringen Lautstärken finden lassen (dies schont auch die Ohren vor unnötiger Ermüdung). Hohe Abhörlautstärken sind in der Regel nicht gut um ein genaues Gleichgewicht zu erreichen, da nach „Flechter-Munson“ alles näher scheint.
Das Phänomen kann aber auch eingesetzt werden um den Eindruck von Lautstärke bei niedrigeren Hörpegeln zu erzeugen. Hierfür wir der mittlere Frequenzbereich abdämpft und/oder das tiefe und hohe Ende des Spektrums verstärkt. Auf einem grafischen EQ sieht dies wie ein Smiley Face aus.

Fletcher-Munson schlägt zurück

Durch die nichtlineare Wahrnehmung des Ohrs funktioniert aber auch die Umkehrung des näher/lauter Effekts. Um Dinge weiter weg erscheinen zu lassen, werden Bässe und Höhen nun abgesenkt.
Dadurch entsteht eine „front-to-back“ Tiefe und der Vordergrund kann für die Hauptelemente freigehalten werden.

Quellen:
Titelbild
Bild 1
Bild 2
Bild 3
Bild 4
https://www.soundandrecording.de/tutorials/sounddesign-wie-man-seinen-aufnahmen-mehr-groesse-verleiht/
https://output.com/blog/9-sound-design-tips-to-hack-your-listeners-ears
https://www.getthatprosound.com/hacking-your-listeners-ears-9-psychoacoustic-sound-design-tricks-to-improve-your-music/
https://de.wikipedia.org/wiki/Stapediusreflex
https://www.mercedes-benz.com/de/mercedes-benz/next/vernetzung/pre-safe-sound-rosa-rauschen-bevor-es-krach-macht/
https://www.youtube.com/watch?v=b2sqeymCiTw

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