Warum wir gerne warten

Endlich war es fertig: mein erstes, eigenes Shopsystem. Alles hat perfekt funktioniert, UX-Tests haben gezeigt, dass es für die Zielgruppen ohne Probleme bedienbar ist und auch die Performance ließ nichts zu wünschen übrig. Und dennoch … irgendwas hat den Bestellprozess für mich nicht hundertprozentig zufriedenstellend gemacht. Nach langer Recherche und einigen Experimenten wusste ich, wo da Problem lag. Mein Shopsystem funktionierte zu gut.

Hä? Ja. Und die Antwort ist gar nicht mal so kompliziert. Wenn eine durch eine Maschine durchgeführte Aufgabe schneller als erwartet ausgeführt wurde, glaubt man der Maschine entweder nicht, dass die Aufgabe ordnungsgemäß durchgeführt wurde, oder man hat das Gefühl, dass gar nichts passiert ist.

Sometimes increasing efficiency may harm the overall experience.

Und das war eben auch das Problem meines Shopsystems. Ein Klick auf den „Jetzt bestellen“-Button hat direkt zur Bestellbestätigung geführt. Keine Verzögerung, kein kurzer Ladebalken, nichts. Als wäre ein Schritt übersprungen worden. Warum bekommen wir dieses Gefühl? Es scheint doch ziemlich unlogisch, dass wir Dinge, die wir eigentlich schnell erledigen könnten, lieber langsam erledigen. Oder? Eine mögliche Antwort könnte mit unserem in uns innewohnenden Verständnis zu tun haben, wie Dinge in der „realen Welt“ ablaufen – in unserem Fall ein Einkauf: Wir gehen zur Kassa, stellen uns an, legen die Waren auf den Tisch, bezahlen, bedanken uns und verlassen das Geschäft. All das wird uns in der schnellen digitalen Welt genommen. Und das spüren wir.

Vertrauen schaffen

Das hat noch größere Auswirkungen auf uns, wenn es um mehr geht, als nur eine Bestellung bei einem kleinen Online-Shop. Beispielsweise, wenn es um unser Vertrauen geht. So verlangsamt zum Beispiel Facebook das Interface, um mehr Vertrauen zu schaffen, etwa beim Privatsphärecheck.
Ein freundlicher Roboter, der als Arzt verkleidet in Erscheinung tritt, macht für uns auf Facebook eben diesen Check. Schritt für Schritt wird uns gezeigt, welche Elemente unseres Profils gerade überprüft werden, während ein Ladebalken von links nach rechts läuft. Man bekommt das Gefühl, dass man sich wirklich ernsthaft um uns kümmert. Wir sollen ein Gefühl dafür bekommen, welch aufwendige Arbeit hinter dem Schutz unserer Privatsphäre steckt. Und dies vermittelt uns Facebook mit Hilfe der Zeit, die wir warten, während scheinbar viel im Hintergrund gerechnet und geprüft wird.

Die Realität ist natürlich eine ganz andere: Die Server von Facebook sind selbstverständlich schnell genug, all das im Bruchteil einer Sekunde zu überprüfen. Dies würde Facebook aber nicht die Möglichkeit geben, seinen Nutzern zu zeigen, was im Hintergrund für sie getan wird, und ebenso wenig kann glaubwürdig vermittelt werden, dass sich Facebook um die Privatsphäre jedes einzelnen Nutzers kümmert.

Wie in vielen anderen Bereichen des UX reicht es eben nicht, vom Offensichtlichen – in diesem Fall den Nutzern schnellstmöglich alles zu geben, wonach sie gefragt haben – auszugehen. Es gilt, sich viele Gedanken darüber zu machen, wie man Nutzer durch seine Anwendungen führt. Und vor allem wie schnell. Denn manchmal kann auch scheinbar bessere Effizienz dem Gesamterlebnis schaden.

Die Lösung für mein Shopsystem war also recht einfach: eine künstliche Verzögerung mit einem zufälligen Wert zwischen zwei und drei Sekunden, zusätzlich mit einer kleinen, netten Ladeanimation versehen und abschließend eine Übergangsanimation zur Bestellbestätigung. Danach war auch das letzte Problem meines ersten kleinen Shops gelöst.


Quellen

The UX Secret That Will Ruin Apps For You
Adding delays to increase perceived value: does it work?
Let Your Users Wait
Wait for it …

Ich bin Designer und Frontend-Entwickler von Websites und Apps. Meine Leidenschaft ist es, Design und Entwicklung zu kombinieren, und dabei den Fokus auf visuelle Ästhetik, hervorragende User Experience, Animationen und Performance zu legen.
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